Zwischen Melancholie und Leerstelle.
Anmerkungen zur Werkreihe Baden bei Wien von Marius Heckmann.
Von Regine Rapp
In seiner aktuellen Werkreihe Baden bei Wien, die im Laufe des Jahres 2008 entstanden ist, verbindet Marius Heckmann sowohl Einzelwerke als auch
Gemälde in Serie aus unterschiedlichen thematischen sowie medialen Kontexten. Drei unterschiedliche Bildserien fügen sich in der Werkreihe Baden
bei Wien zusammen, die sich in die Kategorien ‚Fotobilder’, ‚Filmbilder’ und ‚geometrische, rein schwarze Bilder’ unterteilen lassen. Wie anschließend
anhand ausgewählter Arbeiten gezeigt wird, kommt durch die künstlerische Strategie des Fragmentarisierens und Dekontextualisierens gefundener
Bildmaterialien der thematisch sowie formal ästhetisch komplexe Charakter der Werkreihe zustande. Sie erweist sich als eine an literarischen und
kunsthistorischen Referenzen reiche Bildersammlung, deren Codes sich sowohl auf medialem als auch kulturhistorischem Weg erschließen lassen.
Fotografie und Film – fragmentarisieren und dekontextualisieren
Zu den ‚Fotobildern’ gehört bereits das erste Gemälde Baden bei Wien, das über die große fast quadratisch geschnittene Leinwand hinweg die Bergung eines Bewusstlosen zeigt. Die dargestellte Szene ist ein kleines Detail der Fotografie „Rescue“ des amerikanischen Fotografen Weegee aus den 1930er Jahren. Der Akt der Rettung allerdings erschließt sich im Gemälde tatsächlich erst auf den zweiten Blick, nachdem man in der fast durchgehend in schwarz gehaltenen Oberfläche der Leinwand der zwei Arme gewahr wird, die wie zwei weiße vertikale Streifen von oben in das tiefe Schwarz hineinragen und den Körper aus dem Wasser ziehen. Die radikale Luftperspektive lässt die Rettungsszenerie mit dem angeschnittenen Boot, die sich vorwiegend am oberen Bildrand abspielt, um ein weiteres verzerrt erscheinen und vermittelt durch die fast das gesamte Bild einnehmende, schwarze Wasseroberfläche etwas Instabiles.
Marius Heckmann betont sein Interesse am Fragmentarisieren und das bewusste Infragestellen sinnstiftender Titel: „Die ironische Brechung durch den Titel ‚Baden bei Wien’ ist auch als Reminiszenz an den Kurort Baden bei Wien zu verstehen. Der Ertrinkende steht aber vielmehr für das Vergessen, für das Chaos von Assoziationen und schließlich den Mangel an Erinnerungsvermögen.“
Dem ursprünglichen Kontext eines Standbilds aus Fritz Langs Film Metropolis von 1927 entlehnt und ebenso dekontextualisiert erweist sich die Präsentation einer Frau, die den Mund zum Schrei weit aufgerissen und ihre Arme erhoben hat. In unterschiedlichen Varianten tritt die Frauendarstellung in der Werkreihe in Erscheinung: Während Ophelia I den Oberkörper liegend in verschiedenen Größen und Ausschnitten verschwommen zeigt, sieht man den Frauenkörper im Gemälde Stummfilm II vielfach auf einer schmalen Filmrolle horizontal durch den schwarzen leeren Raum gleiten, wohingegen sich in den Bildern Sequenz II und Kleid I die Frauengestalt zugunsten einzelner heller und dunkler Schatten bereits gar nicht mehr ausmachen lässt, sondern sich bereits in abstrakte Hell-Dunkelzonen verwandelt hat.
Auch andere Motive wie beispielsweise das Gemälde Publikum mit einer Darstellung zweier junger Frauen und eines älteren Herrn in den Sitzreihen eines Kino- oder Theaterraumes, ebenfalls einer Fotografie von Weegee entlehnt, scheinen sich über mehrere Bilder hinweg zunehmend von ihrem ursprünglichen Kontext entfernt zu haben. Dadurch tritt vielmehr die Erinnerung an ein Bild, also die Überreste eines Bildes, an die Stelle des eigentlichen Bildes. Dieses Restbild schließlich zieht sich durch die gesamte Werkreihe gleich einer strategischen Formel kurzer (Sinnes)Eindrücke, deren Narrativ in der Auflösung begriffen ist und schließlich ganz verschwindet. Neben dem Begriff Restbilder könnte man auch von neuralen Bildern sprechen, die sich als kurze visuelle Reize vom Kontext befreiter Bilder aneinander reihen, die sich nicht zuletzt auf den unbewussten Blick beziehen. Darüber hinaus macht sich das Medium Film indirekt in der Werkreihe bemerkbar, indem die filmische Struktur als formal ästhetische Mittel in den Titeln und der einzelnen Arbeiten herangezogen wurde: Sequenzen, Bildfolgen und das Phänomen des Close-Up sind filmische Mittel, die hier formal ästhetisch eingesetzt wurden.
Die Leerstelle und das Schwarz
Die dritte Serie innerhalb der Werkreihe stellen die geometrischen, rein schwarzen Bilder dar, die in ihrer klaren abstrakten Struktur monochromer
geometrischer Flächen in Form schwarzer Quadrate und Rechtecke den gegenständlichen Arbeiten gegenüberstehen. Ihre Titel Gemälde, Leinwand
und Sammlung weisen um ein weiteres eine starke Selbstreferentialität auf. Marius Heckmann äußert sich wie folgt zu den schwarzen Flächen: „Die
schwarzen leeren Flächen stellen Einschübe dar und stehen für das Nichtaufzuklärende, was gesehen wird. […] Es handelt sich auch um die
Sammlung von inneren Bildern. Die schwarzen Gemälde stellen die Brüche dar und markieren das, was ich nicht sehe und nicht sehen kann, was aber
trotzdem existiert.“
Die Irritation des Blicks ergibt sich dieses Mal nicht durch das Fragmentarisieren oder Dekontextualisieren, sondern tritt durch die absolute Verweigerung jeglicher figurativer Darstellung zutage. Es geht um den Bruch der Sinnstruktur, die Erwartungshaltung nach einer konsistenten Handlung, so Heckmann, werde hier bewusst unterlaufen. Doch wird hier nicht so sehr auf Malewitsch und seine Konzeption der suprematistischen Malerei als eine metaphysische Synthese der Welt rekurriert. Vielmehr können die schwarzen Felder als Leerstellen innerhalb eines komplexen Bezugssystems verstanden werden, das im folgenden schließlich mit der Kategorie Melancholie genauer erläutert werden kann.
Melancholie und Introspektion
Die Melancholie steht seit ihrer Entdeckung in der antiken Medizin bis zur Moderne sowohl für die psychosomatische Krankheit als auch für die
Voraussetzung künstlerischen Schaffens in Form von Genialität. Nicht zuletzt durch ihre etymologische Bedeutung in der antiken Humoralpathologie –
„Schwarzgalligkeit“ – lässt sich die Melancholie in der Kunstgeschichte meist mit der Farbe Schwarz in Verbindung bringen.
Das Gemälde Melancholie besteht aus einem monochromen Untergrund in einem warmen Lilaton mit zwei schwarzen horizontalen Streifen am oberen
und unteren Bildrand, auf welchem im Bildzentrum mit Weiß ein verwischter waagrechter Streifen zu erkennen ist. Gleich einer Übermalung, einem
Durchstreichen oder Überschreiben vermittelt diese Spur den Moment des Verschwindens.
Mit der Bildserie Ophelia innerhalb der Werkreihe thematisiert Marius Heckmann eine bestimmte Ausprägung der Melancholie – den Wahnsinn. Während das Gemälde Ophelia eine schwarze Leinwand zeigt, auf der das Wort „Ophelia“ in Schreibschrift in unteren Bildteil auf dem Kopf zu lesen ist und somit die physische Darstellung einer schwimmenden Leiche durch den (schwimmenden) Text ersetzt, sieht man in Ophelia I einen liegenden
, angeschnittenen Frauenkörper in schwarz auf weißem Grund, der sich fragmentarisiert in Ausschnitten in kleinen Bildteilen im selben Bild
wiederholt.
Ähnlich wie Hamlets Introspektion, seit der Antike ein wesentlicher Zug der Melancholie, scheinen sich die Gemälde aus der Werkreihe Baden bei Wien
ihrer inneren Welt zuzuwenden. So verweisen nicht nur unmittelbar die Werke Melancholie oder Ophelia auf die Melancholie als literarischer Topos oder psychopathologische Krankheit, vielmehr die fast durchgehende Verwendung des Schwarz in der Werkreihe lassen den Begriff der Melancholie als Leitmotiv in Erscheinung treten.
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So mäandert der Blick der Betrachter in den Gemälden der Werkreihe Baden bei Wien zwischen gegenständlicher und abstrakter Darstellung, zwischen
narrativer Affirmation und thematischer Verweigerung und schließlich zwischen dem filmisch motivierten Schwarz Weiß und dem für die Melancholie
typischen Schwarz. Dabei spiegelt sich das Motiv des Todes, welches sich in der Figur der Ophelia, der Darstellung des aus dem Wasser gezogenen Ertrunkenen sowie dem stummen Schrei ausdrückt, in den schwarzen Flächen und Rechtecken als eine sich auflösende Wirklichkeit wider.
-Regine Rapp, Berlin im Dezember 2008